Brasilien – Ein Jahr weit weg vom Zuhause
Da ging ich also fĂŒr zehn Monate weg. Neues Land, neue âFamilieâ, anderes Essen, andere Sprache. Warum Brasilien? Gute Frage⊠das hat sich einfach interessant angehört. SĂŒdamerika fand ich schon lĂ€nger toll und letztendlich hat mich dann portugiesisch ĂŒberzeugt. Portugiesisch ist so Ă€hnlich wie spanisch, aber die Aussprache ist schöner.
Und dann gings losâŠ
Nach zwölf Stunden Flug kam ich in SĂŁo Paulo an. Alle AustauschschĂŒler von AFS (meine Austauschorganisation), trafen sich und bekamen Zettel mit der Info, wie sie zu ihrer Gastfamilie kommen. Ich musste noch weiterfliegen. Wir flogen dann in die Hauptstadt vom Bundesland Minas Gerais (liegt etwa in der Mitte von Brasilien) und dann gingâs zu viert in âmeineâ Stadt Montes Claros. Unsere Gastfamilien warteten schon am Flughafen. Ich war total aufgeregt, weil ich meine Familie ja nur von Fotos kannte. Ich hatte zwei kleine Geschwister, Caio (damals 13) und Ana (12). Meinen groĂen Bruder Iuri (17) lernte ich erst ein halbes Jahr spĂ€ter kennen, weil er zu dem Zeitpunkt in Neuseeland ein Auslandsjahr machte. Ich konnte nur ein paar Wörter portugiesisch, deswegen war ich froh, dass Caio ein bisschen englisch konnte und den Ăbersetzer gespielt hat.
Ein paar Tage spĂ€ter lernte ich Teresa, das HausmĂ€dchen, kennen. In Brasilien hat fast jede Familie ein HausmĂ€dchen, das kocht, putzt und die WĂ€sche macht. Das war am Anfang echt merkwĂŒrdig. Auch das Essen ist anders als hier in Deutschland. Es gibt fast jeden Tag Reis mit Bohnen, meistens mit Fleisch und GemĂŒse. GewöhnungsbedĂŒrftig. Aber im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich es manchmal vermisse. Das beste Essen allerdings ist der âChurrascoâ, auf deutsch Grill. Das Fleisch ist einfach supersaftig. Als kleiner Schocker gibt es auch ein paar merkwĂŒrdige Gerichte wie HĂŒhnerherzen. Die schmecken aber auch gut, wenn man sich traut, sie zu essenâŠ
Auch die HĂ€user sehen anders aus. Um jedes Haus steht eine Mauer zum Schutz vor Einbrechern. Das liegt daran, dass die KriminalitĂ€tsrate in Brasilien relativ hoch ist. Ich hatte GlĂŒck. In dem ganzen Jahr habe ich keinen Einbrecher gesehen. Ich hatte nur einmal gedacht, es wĂ€re einer im Haus, als ich alleine war. Mein Gastvater ist extra nach Hause gekommen, aber da war niemand. Die Geschichte wurde mir noch lĂ€nger vorgehalten.
Was ich witzig finde, ist, dass die Lehrer in Brasilien ganz anders als in Deutschland sind. Der Unterricht wirkt generell nicht so streng. Bei manchen Lehrern kann man sogar im Unterricht schlafen, ohne dass sie etwas sagen. (Das war total die Umstellung wieder zurĂŒck in Deutschland. đ ) Und auch die Tests waren meiner Meinung nach viel einfacher. Ist ja klar, wenn man die vier oder fĂŒnf Antwortmöglichkeiten vorgegeben hat. So habe ich es sogar geschafft, in Literatur 3 von 5 Punkten zu bekommen, ohne den Text zu verstehen. Mein Lehrer war begeistert! đ
Nach etwa drei Monaten habe ich dann angefangen, mehr zu verstehen. Ab der Zeit kann man dann selber SĂ€tze formen und sich mit anderen Leuten unterhalten, wenn sie nicht zu schnell reden. Vorher muss man sich halt an die Leute halten, die englisch können oder mit HĂ€nden und FĂŒĂen nachhelfen. Meine kleine Schwester hatte Capoeira-Unterricht. Capoeira ist eine Mischung aus Kampf und Tanz, die von den frĂŒheren schwarzen Sklaven zur Selbstverteidigung erfunden wurde. Wenn man das gut kann, sieht das echt toll aus! Also bin ich mitgegangen, um mir das anzugucken und bin auch dabei geblieben. Mittlerweile habe ich auch eine Capoeira-Gruppe in Köln gefunden und trainiere hier weiter.
Die Brasilianer sind sehr gastfreundlich. Das ist toll, denn so lernt man schnell neue Leute kennen. Allerdings muss man mit Einladungen aufpassen. Manchmal werden Sachen nur gesagt, um höflich zu sein. Wenn man also gesagt bekommt âkomm uns bald nochmal besuchenâ und dann fragt âwann denn?â, kann es sein, dass einen die Leute irritiert angucken. Dann war das nur eine Höflichkeitsfloskel.
Wenn man sich dann mal verabredet hat, ist es auch keine Seltenheit, eine Stunde oder mehr zu warten. PĂŒnktlichkeit wird in Brasilien klein geschrieben. Das ist ehrlich gesagt sehr entspannend, weil man sich nie hetzen muss. Mittags nach der Schule wird erstmal eine Stunde geschlafen. Das machen nicht nur die Kleinen, sondern die ganze Familie. Das kam mir sehr gelegen, weil man als AustauschschĂŒler eigentlich immer schlafen könnte.
Brasilien ist das fĂŒnftgröĂte Land der Welt. Kein Wunder, dass man sehr unterschiedliche Erfahrungen macht, je nachdem, wo man ist. Der SĂŒden ist eher europĂ€isch, sogar mit einigen deutschen StĂ€dten und im Norden ist es extrem warm. Bei mir in der Mitte waren es im âWinterâ 25 und im Sommer bis zu 40 Grad. Es regnet eigentlich nur im Oktober und November, dafĂŒr dann aber auch jeden Tag.
Ich hatte das GlĂŒck, dass ich ein bisschen reisen konnte. Ich war in Rio de Janeiro, in der Hauptstadt BrasĂlia und in ein paar KĂŒstenstĂ€dten. Brasilien hat tolle StrĂ€nde und in Rio kann man sich echt verlieben. BrasĂlia fand ich nicht so spannend. Die zehn Monate gingen insgesamt erstaunlich schnell rum und ich war sehr traurig, als ich wieder nach Hause musste. Als ich wiederkam, bin ich in die elfte Klasse eingestiegen, anstatt die zehnte zu wiederholen. Einige Sachen musste ich nachholen, aber es war machbar.
Wenn alles klappt, fliege ich im Juli, zwei Jahre nachdem ich wieder hier war, nochmal zurĂŒck. Dann besuche ich meine Gastfamilie, die fĂŒr mich schon wie eine zweite Familie geworden ist.
[Kirsten Gilgenberg, Abitur 2015]