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Finnland doch nicht mehr Vorreiter?

Wie in dem letzten Kommentar über das deutsche Schulsystem diverse Male erwähnt, sei Finnland der Vorreiter in Sachen Bildung. Ergebnisse der Pisa-Studie Anfang des neuen Jahrtausends gaben allen Anlass dazu, den Ort zu einer Pilgerstätte für Bildungspolitiker und Pädagogen aller Welt zu machen. So wurde die finnische Schule als Vorzeigesystem propagiert, wobei schnell vergessen wurde, dass die repräsentativen Ergebnisse längst von Neueren überschattet wurden. Die Pisa-Ergebnisse aus dem Jahr 2012 geben einen ganz neuen Eindruck von dem  vorbildlichen Bildungssystem, das unter anderem auch dem deutschen Ministerium Vorlagen zur angeblichen Verbesserung gab.

Das Niveau eines ganzen Schuljahres habe der Bildungsstand an finnischen Schulen in der Zeit angeblich eingebüßt. Diese Ergebnisse lägen immer noch über dem Durchschnitt, dennoch sei die Differenz zu den vorherigen Ergebnissen beträchtlich. Dabei habe sich das Schulsystem zu dieser Zeit kaum verändert.

Der Grund für den kurzzeitigen Pisa-Erfolg wird auf die vorige Bildungsreform Finnlands bezogen. In den 90er Jahren hat Finnland stark an seinem Schulsystem geschraubt und so die allseits beliebten Gruppenarbeitstechniken – wie wir alle sie kennen und lieben – fest in ihren Unterricht integriert. Mit individueller Förderung, „längerem gemeinsamen Lernen“, und dementsprechenden Lerngruppen über Jahre hinweg stellte Finnland einen starken Kontrast zum autoritären Frontalunterricht, wie es vorher üblich war. Dennoch wurde mit Strenge das ausgeglichen, was durch neuartige Methoden erreicht werden sollte.

So schaffte Finnland bei den Anfängen der Pisa-Studie beträchtliche Ergebnisse. Dafür wird das zu diesem Zeitpunkt immer noch in den Köpfen der Schüler anwesende, hierarchische Schulsystem verantwortlich gemacht. Dieser scheinbare Trugschluss löste in den letzten 15 Jahren eine Lawine an Bildungsreformversuchen verschiedener Staaten aus – zum Teil vergeblich. In Schweden zum Beispiel habe man versucht die Schüler mit „verbesserten“ Bewertungssystemen an die Schulen zu locken. Die Konsequenzen waren viel zu gute Noten in fast allen Bereichen und dementsprechende Einbüße des allgemeinen Niveaus an schwedischen Schulen. 

Ein ähnlicher Prozess lässt sich auch hier in Deutschland vermerken. Während an fast allen nordrhein-westfälischen Gymnasien seit nunmehr fast 3 Jahren Schulabschlüsse schon nach 12 Schuljahren vergeben werden, beschlossen die Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe ihren Schülern das Abitur nach wie vor nach 13 Jahren erwerben zu lassen. Den schlechten Statements G8 zufolge, lockt das natürlich viele Schüler an Gesamtschulen. Dass die Schüler dort einen Vorteil gegenüber denen des dreigliedrigen Systems aufweisen, ist allerdings nicht bestätigt.

Doch wo liegt das eigentliche Problem? Mittlerweile reiht sich Bildungsdebatte an Bildungsdebatte. Vielleicht mag es den einen oder anderen ausschlaggebenden Parameter für einen guten Unterricht geben.

Dem neuseeländischen Pädagogen John Hattie und etwa 50 000 Einzelstudien seiner Arbeit zufolge, liegt die größte Verantwortung auf dem Lehrer an sich. Dies begründete er damit, dass die stärksten Leistungsunterschiede nicht zwischen den Schulen, oder Ländern herrscht, sondern zwischen den unterschiedlichen Klassen, bzw. Kursen einer Jahrgangsstufe, an ein und derselben Schule. Eine Tatsache, die uns alle nicht besonders verwundern dürfte. Verschwenden wir doch einen großen Teil unserer Gedanken an die Schule an Beschwerden über mangelhaften Unterricht.

Dabei seien gerade die hoch gepriesenen Gruppenarbeitstechniken, der jahrgangsübergreifende und zum Teil offene Unterricht, keine bessere Alternative zum typischen Frontalunterricht. Was hingegen helfe, seien unter anderem Lehrerfeedbacks, fachspezifische Lehrerfortbildungen und ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Lehrkraft und Schüler, so Hattie.

Behaupten doch fast 50% der Pädagogen Deutschlands, sie hätten wenig oder sogar fast gar keinen Einfluss auf Schüler. Die Frage danach, wie dieses Problem gelöst werden sollte, ist allerdings gar nicht so leicht zu beantworten. In Deutschland müssen werdende Lehrer bereits mehrere Jahre lang studieren, bevor sie ihr Referendariat beginnen können. Aus Erfahrung allerdings, können manche Lehrer gut unterrichten, andere eben nicht.

Die Tatsache, dass man in vielen Fällen erst im Referendariat die Praxis des angestrebten Berufes kennenlernt, zeigt manchen Leuten erst nach jahrelangem Studium, dass sie eventuell doch nicht für den Unterricht geeignet sind. Hier zeigt sich ein erneuter Unterschied zu Finnland. Der Beruf des Lehrers ist dort sehr begehrt. Angehende Lehrer müssen sich anfangs einem harten Auswahlverfahren für das Studium unterziehen, bei dem die Abiturienten einen umfassenden Bericht liefern müssen, warum genau sie Lehrer werden wollen. Wer zu lasche Argumente liefert, fliegt raus (dazu gehören z.B. „Ich mag Kinder“ und „Meine Eltern sind auch Lehrer“). Dabei kommen etwa 8500 Bewerber auf 750 Studienplätze.

Wenn sie es allerdings erstmal geschafft haben, dann genießen sie eine große Unabhängigkeit, ihren Unterricht genau so gestalten zu können, wie es ihnen passt. Dazu gehört natürlich auch eine große Verantwortung, allen Schülern den Schulstoff zu vermitteln. Dafür bekommen Lehrer in Finnland eine große Anerkennung und in der Regel auch Vertrauen von den Eltern – den Skeptikern Nummer eins.

Trotz alledem: In keinem Land gehen Schüler so ungern zu Schule, wie in Finnland. Demnach wird es nie eine Art „Schlüsselessenz“ für den perfekten Unterricht geben. Jeder Unterricht ist anders, ob nun nach neuartigen Gruppenmethoden, nach dem altmodischen Frontalunterricht, mit einem strengen oder eher lockerem Lehrertypen. Wichtig ist, dass es keine solch dramatischen Leistungsunterschiede in den unterschiedlichen Kursen gibt, sodass es letztlich vom Zufall und nicht vom Können abhängt, wie das nächste Zeugnis ausfällt. Natürlich steckt in vielen Industrienationen, unter anderem auch in Deutschland, viel mehr Bildungspotenzial, als es momentan der Fall ist.

Vielleicht sollte das deutsche Bildungsministerium mal mehr auf die hören, die immer noch hautnah den Schulalltag erleben: uns Schüler.

Ronja Becker, Q1

Quellen:

http://www.zeit.de/2013/37/lehrer-eignung-auswahl-finnland (31. Januar 2015)

http://www.zeit.de/2013/02/Paedagogik-John-Hattie-Visible-Learning (10. Januar 2016)

http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/6940732/finnlands-pisa-wunder—ein-trugschluss.html (29. Dezember 2015)

http://www.focus.de/familie/schule/finnland-ist-entthront-zu-frueh-gefreut-das-ist-der-wahre-grund-fuer-finnlands-pisa-sieg_id_4801769.html (29. Dezember 2015)

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